Warum die AfD in Ostbayern so viel Zulauf hat

Stand: 09.10.2018 | Lesedauer: 5 Minuten

Die CSU regiert in Bayern mit absoluter Mehrheit. Doch am Sonntag droht den Christsozialen der Absturz. In Umfragen ist die Partei tief unter die 40-Prozent-Marke gerutscht.

Ostbayern gilt als Hochburg der AfD. Warum findet die Partei gerade hier so viel Zuspruch? Wer sich in Deggendorf umhört, stellt fest: Es geht längst nicht nur um Flüchtlinge, sondern um ein Lebensgefühl.

Deggendorf – das Tor zum Bayerischen Wald. So wirbt die niederbayerische Kreisstadt für sich. Hochschulstandort mit fast 35.000 Einwohnern, katholisch und konservativ. Dazu eine florierende Wirtschaft und ein buntes Vereins- und Kulturleben. Ein liebliches Fleckchen Erde, das 2013 durch die Jahrtausendflut bundesweit Schlagzeilen machte.

Mit der Bundestagswahl 2017 wurde aus der Stadt des Hochwassers die AfD-Hochburg. Im Wahlkreis Deggendorf kam die Partei auf 19,2 Prozent und war damit bayernweit am stärksten. Auf den Plätzen zwei bis fünf folgten die ostbayerischen Wahlkreise Straubing, Schwandorf, Rottal-Inn und Passau. Wie konnte das passieren? Eine Spurensuche.

Vor dem Wirtshaus Straubinger Hof in Deggendorf sitzen drei Gäste in der Mittagssonne. Es gibt Bier und ein Schnapserl. Die beiden Männer und eine Frau diskutieren über die Landtagswahl.

„Die AfD wird in Deggendorf sicher zweitstärkste Partei“, sagt Karl Siebert. „Die Mädels trauen sich hier abends einfach nicht mehr raus. Sie haben Angst, obwohl die Leute ihnen nichts tun.“ Seine Tischnachbarin, die ihren Namen nicht genannt wissen will, fühlt sich nicht gestört. „Hier ist doch nachts gähnende Leere. Verbrecher und Gauner gibt es doch überall – egal, aus welchem Land.“

„Die Leute“, von denen Siebert und seine Tischnachbarin reden, das sind die rund 550 Flüchtlinge, die im Ankerzentrum im Deggendorfer Bahnhofsviertel leben. Die meisten kommen aus Sierra Leone, Nigeria, Aserbaidschan und Eritrea, wie Hans-Jürgen Weißenborn von der Caritas berichtet. Bis zu 24 Monate seien die Flüchtlinge hier. „Im Stadtbild sind sie nicht stark sichtbar.“ Die Kriminalität habe nicht zugenommen, sagt Weißenborn und verweist auf die Polizeistatistik. Trotzdem verspürten Anwohner ein Gefühl der Unsicherheit.

Trifft eine Mutter mit Kinderwagen auf Flüchtlinge …

Diese Verunsicherung sei schwer greifbar, sagt Paul Linsmaier, CSU-Fraktionsvorsitzender im Stadtrat. Im Sommer habe es Probleme wegen Lärms am Ankerzentrum gegeben. Da habe die Stadt etwa 2500 Anwohner zum Gespräch eingeladen. „Gekommen sind vielleicht 150.“ Die Debatte sei sachlich gewesen und das Problem konnte geklärt werden.

Dann habe eine Frau gesagt, wenn sie mit dem Kinderwagen auf dem Gehweg gehe und ihr drei Flüchtlinge begegnen, müsse sie über die Straße ausweichen und die Flüchtlinge blieben auf dem Gehweg. „Da gab es tosenden Applaus.“ Es sei absolut nachvollziehbar, dass die Leute so etwas stört – jedoch auch schwierig, eine Gegenstrategie zu entwickeln.

Linsmaier ist ein wenig ratlos, warum die AfD in Ostbayern so stark ist. Schließlich gehe es Deggendorf sehr gut. Und dennoch hätten die Menschen Zukunftsängste. Wohnungsbau, Digitalisierung – vieles sei im Umbruch. Viele AfD-Wähler seien wohl Anti-Merkel-Wähler, meint er. „Die aktuelle Bundespolitik befeuert den AfD-Zulauf massiv.“

Katrin Ebner-Steiner macht Wahlkampf auf dem Stadtplatz. Die Landtagskandidatin und Mutter von vier Kindern gilt als AfD-Hardlinerin, nah an Björn Höcke und Anwärterin auf den Vorsitz einer künftigen Fraktion im Maximilianeum. Mit scharfen Aussagen etwa gegen Moscheen machte sie von sich reden. „Alles nur Wahlkampfrhetorik“, sagt die Bilanzbuchhalterin. Sobald die AfD im Landtag sei, würde sie gemäßigter auftreten.

„Die CSU ist mit Merkel nach links verrutscht“, meint Ebner-Steiner. Die CSU habe gesagt, sie klagten gegen die Ehe für alle – stattdessen fuhren sie beim Christopher Street Day mit. „Das sind Dinge, die kann man in Niederbayern nicht erklären.“ Sie finde, „dass man seine sexuelle Orientierung nicht halb nackt auf einem lustigen Wagen präsentieren muss“. In der AfD gebe es viele Homosexuelle, die seien „sehr konservativ und finden dieses Gebaren auch befremdlich“.

Die AfD hat nach eigenen Angaben in Bayern seit Jahresbeginn gut 5000 Mitglieder hinzugewonnen – die meisten aber nicht in Niederbayern oder der Oberpfalz, sondern im einwohnerstärksten Bezirk Oberbayern. Da kamen fast 2000 hinzu, auch in Schwaben ist der Zulauf groß.

Nun greifen die Leute offen zu Flyern der AfD

Jüngst war bekannt geworden, dass die Deggendorfer Staatsanwaltschaft nach einer Flut von Hasskommentaren auf der Facebook-Seite der örtlichen AfD fast 100 Ermittlungsverfahren wegen Volksverhetzung eingeleitet hat. Im Dezember hatten afrikanische Asylbewerber unter anderem mit Hungerstreiks für bessere Unterbringung protestiert. Die Deggendorfer AfD postete einen Livestream auf ihrer Facebook-Seite, zahlreiche Internetnutzer ließen darunter ihrer Wut freien Lauf.

Quelle: www.welt.de