Auf dem Marktplatz im bayerischen Deggendorf steht Katrin Ebner-Steiner ganz oben auf einer Holzleiter. Die AfD-Politikerin trägt Jeans, Blazer und Perlenkette. Mit Kabelbinder bringt sie am oberen Ende eines Laternenmastes ein Plakat an, das sie selbst im Dirndl zeigt. Da bleibt unten eine Passantin mit Markensonnenbrille stehen, die mit ihrem Mann auf dem Marktplatz unterwegs ist. Sie schaut nach oben zu Ebner-Steiner und ruft: „Die AfD steigt auf.“ Katrin Ebner-Steiner lacht. „Genau!“, ruft sie zurück.

Für die 40-jährige Ebner-Steiner ist es ein Moment der Genugtuung. Dass da jemand anhält, grüßt und die AfD auch noch lautstark lobt – das wäre in Bayern lange nicht denkbar gewesen. Vor zwei Jahren wurde Ebner-Steiners Haus mit einem Teer-Gemisch besprüht. Bei einer Demo kippte ihr ein Antifa-Aktivist eine Flasche Bier über den Kopf. Im Trachtenverein wollte man sie nicht haben. Und auf dem Marktplatz liefen die meisten an Ebner-Steiner und ihrem Infostand einfach vorbei.

Die CSU ist in Panik

Doch Ebner-Steiner merkt, dass sich etwas verändert. Dass die AfD mehr und mehr zu einer Partei wird, zu der man sich auch bekennt. An Ebner-Steiners Stammtisch sitzen Ärzte und Anwälte, an ihrem Infostand bleiben Leute zum Plaudern. Ebner-Steiner arbeitet daran, dass hier nicht Schluss ist. Wenn sie sich anschaue, wie sehr sich in den vergangenen zwei Jahren die öffentliche Debatte verschoben habe, sagt sie, sei bald noch viel mehr möglich. In der Partei hat Ebner-Steiner ihre Verbündeten rechtsaußen, beim „Flügel“ von Björn Höcke. Den bezeichnet sie als „Nationalromantiker“, als „einen der wenigen Politiker, die ehrlich und aufrichtig sind“.

Vier Wochen vor der bayerischen Landtagswahl kommt die CSU in Umfragen auf 35 oder 36 Prozent, die AfD auf elf bis 14 Prozent. Damit liegen die Rechtspopulisten zwar hinter den Grünen und auch nicht höher als im Bundesdurchschnitt. Aber viele AfD-Wähler haben früher CSU gewählt – was dazu beiträgt, dass den Christsozialen aller Voraussicht nach die absolute Mehrheit abhandenkommt. Die CSU ist in Panik.

Die harte Abgrenzung der CSU kommt spät

Dabei ist die AfD im Wahlkampf bislang durch interne Streitereien aufgefallen. Ihre Wahltaktik beschränkt sich hauptsächlich auf das Schlechtmachen der CSU. Doch die hat eben keine einheitliche Linie im Umgang mit der AfD gefunden. Ministerpräsident Markus Söder selbst eiferte ihr zuerst rhetorisch mit Vokabeln wie „Asyltourismus“ nach, rückte dann aber von dieser Taktik ab und warnt jetzt vor einer immer gefährlicher werdenden AfD. Vor allem, seitdem diese in Chemnitz „Seit an Seit mit NPD, Pegida und Hooligans marschiert“ sei, wie Söder angewidert bemerkte. Doch die harte Abgrenzung kommt spät.

nd so träumt nun Ebner-Steiner, die stellvertretende AfD-Landesvorsitzende, für ihren Bezirk Niederbayern von Ergebnissen von sogar über 20 Prozent. Bei der Bundestagswahl holte sie in ihrem Wahlkreis Deggendorf für die AfD 19,2 Prozent – das beste Ergebnis in ganz Westdeutschland. Sie, die gute Freundin Höckes, ist zum Gesicht für den AfD-Erfolg in Bayern geworden. Bei diesem Erfolg spielt Protest eine Rolle, Unzufriedenheit, aber eben auch die Person Katrin Ebner-Steiner selbst. Wenn die blonde, blauäugige AfD-Politikerin im Dirndl am Rednerpult steht und mit niederbayerischem Dialekt Sätze ruft wie „Die AfD ist die Strafe Gottes für die CSU“, dann tobt das Parteivolk. Und so mancher CSUler dürfte zustimmen.

Katrin Ebner-Steiner wurde in Deggendorf geboren, ist im bayerischen Wald aufgewachsen, die Eltern wählten CSU. Sehr jung lernte sie ihren ersten Mann kennen, mit 19 bekam sie ihr erstes Kind, bald darauf ein zweites. Das Paar betrieb ein Mountainbike-Geschäft. Katrin Steiner engagierte sich im Naturschutz, stemmte sich gegen den Donauausbau. Sie liebt ihre Heimat, die niederbayerische Idylle. Nachdem die Ehe in die Brüche ging, heiratete sie erneut, ihr zweiter Mann ist Partner in einer Kanzlei in München. Sie zogen in ein modernes Haus auf dem Land, bekamen zwei weitere Kinder miteinander. Ebner-Steiner arbeitete von zu Hause aus in Teilzeit als Bilanzbuchhalterin für die Kanzlei ihres Mannes.

Sie verbindet Mutterglück mit Islamhass

Das Folkloristische, die Leidenschaft für die Familie, die regelmäßigen Kirchenbesuche – an Ebner-Steiner spricht eigentlich alles für die CSU. Doch Ebner-Steiner sagt: „Ich verkörpere das Wahlprogramm der AfD.“ Sie ist eine, die in einer Videobotschaft am Muttertag selig lächelnd davon spricht, wie schön es ist, wenn die Kinder abends im Bett liegen „und schlafen wie die kleinen Engelchen“. Und die dann auf Parteiveranstaltungen wettert, der Islam strebe „nach der Weltherrschaft“, Deutschland sei der „Anker für diesen Eroberungszug“. Die von der Kanzlerin als „Deutschlandabschafferin“ spricht und von „täglichen Vergewaltigungen, Messerstechereien und Morden“. Davon, dass sie nachts manchmal nicht schlafen könne aus Angst um ihre vier Kinder.

Ebner-Steiner ist keine besonders begabte Rednerin, aber sie weiß, was die Partei hören will. Sie verbindet Mutterglück mit Islamhass, Bodenständigkeit mit einer Prise Verschwörungstheorie – und das kommt in der AfD ziemlich gut an.

Am Donnerstagvormittag vor zwei Wochen steht Ebner-Steiner wie jeden Donnerstag und Samstag auf dem Deggendorfer Marktplatz. Der Stand ist groß, an den Seitenwänden steht „Festung Europa“ und „Unser Geld für unsere Leut“. Drei Parteikollegen unterstützen sie, Rentner mit viel Zeit. Einer sagt: „Die Katrin reibt sich für die Partei auf.“ Da steht Ebner-Steiner gerade auf der Leiter, eine Schere in der Hosentasche, und hängt Plakate auf.

Von der Mountainbikerin zur AfD-Vorzeigefrau

Ebner-Steiner selbst glaubt, dass sich ihr Erfolg in der Bürgernähe begründet, sich die Infostände auszahlen. Als gebürtige Deggendorferin kennt sie hier ja viele. „Wollen Sie heute Abend auch zum Stammtisch kommen?“, fragt sie später lächelnd einen braun gebrannten älteren Herrn. Der Mann war vor seinem Ruhestand Polizist, er kommt schnell auf Flüchtlinge zu sprechen. Deggendorf hat in Bahnhofsnähe ein großes Ankerzentrum. „Ich beneide ja meine Kollegen nicht, die immer mit denen zu tun haben“, sagt der Mann. Und dann der Lärm und das Geschrei, das nachts aus dem Zentrum komme. Ebner-Steiner nickt. Das werde alles auf Anweisung von oben vertuscht, behauptet sie – dabei gab es zahlreiche Artikel in der Lokalpresse, in denen berichtet wurde über afrikanische Musik, Klatschen und Geschrei, die jungen Männer, die auf das Dach kletterten.

Wie ist Ebner-Steiner von der naturschutzliebenden Mountainbikerin zur harten AfD-Vorzeigefrau geworden? Begonnen hat wohl alles vor 13 Jahren, als sich Ebner-Steiner gerade von ihrem ersten Mann getrennt hatte. Da wohnte sie eine Weile über einer türkischen Familie in einem Mehrfamilienhaus. „Katastrophal“, sagt Ebner-Steiner. „Ständig die Familienbesuche, dann der Knoblauchgeruch im ganzen Haus und die Zigarettenqualmerei.“ Ebner-Steiner verdreht die Augen. „Das war meine erste negative Erfahrung. Vorher hab ich ja in Wolkenkuckucksheim gewohnt.“

Die Politik hat sie verändert

Ihr zweiter Mann wollte eigentlich selbst Politiker werden. Bald nachdem die beiden sich kennenlernen, liest Ebner-Steiner „Deutschland schafft sich ab“ von Thilo Sarrazin. Sie regt sich über die Euro-Rettung auf und entdeckt die Thesen der islamfeindlichen Pegida-Bewegung. Als sie die auf Facebook postet, ist sie gleich eine Menge Freunde los. Sie geht mit ihrem Mann zu einem AfD-Stammtisch, nach drei Wochen tritt sie ein. Ihr Mann unterstützt die politische Karriere seiner Frau. Nur als sie vor einiger Zeit mit einer Burka auf eine AfD-Demo geht, um gegen die Verhüllung der Frau im Islam zu protestieren, ist er nicht begeistert. So ein Protest kommt bei den Deggendorfern nicht gut an. Sie wissen nicht, was das soll.

Die Politik, sagt Ebner-Steiner, habe sie verändert, konsequenter gemacht, härter. Ziemlich am Anfang ihrer Zeit in der AfD wird in einem Wirtshaus bei einer Bürgerdiskussion ein AfD-Kollege angegriffen „Damals war ich quasi noch ein Mäuschen. Ich hab im Auto gesessen, geheult und gedacht, das pack ich nicht.“ Noch am selben Abend versucht sie, ihre Parteimitgliedschaft zu kündigen. Das nimmt sie zwar am Morgen sofort zurück, aber in der Partei haben sie jetzt einen Spitznamen für sie: Ente. Wegen des Sketches bei Loriot, in dem sich die beiden Männer in der Badewanne darüber streiten, ob die Ente nun rein ins Wasser oder raus aus dem Wasser soll. Beim Gespräch in einem Café am Marktplatz holt Ebner-Steiner einen Schlüsselbund aus der Tasche. Daran hängt eine große Plüschente. Sie hat sich den Spitznamen zum Markenzeichen gemacht.

So leicht es anfangs scheint, Ebner-Steiner einzuordnen, desto schwerer fällt es, wenn man sich länger mit ihr unterhält. Einerseits sagt sie Sätze wie „Emanzipation hat uns ja nicht viel gebracht“ – weil sich Frauen zusätzlich zum Arbeiten immer noch um Haushalt und Kinderbetreuung kümmern müssten. Andererseits macht sie ja in der AfD Karriere.

Sie erzählt, wie sie in einer Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in Passau Tränen in den Augen hatte, als sie die Frauen und Kinder dort sah. Da habe sie an die Reden gedacht, die sie gehalten habe, und sich ein wenig schlecht gefühlt. Dann sagt sie: „Aber man muss das große Ganze sehen, auch wenn einem der Einzelne leidtut.“

Ebner-Steiner fordert eine Ausgangssperre für Flüchtlinge nach Einbruch der Dunkelheit, geschlossene Grenzen und konsequente Abschiebungen. Kurz vor Weihnachten vergangenen Jahres protestierten 175 Flüchtlinge aus Sierra Leone im Schnee gegen die Umstände ihrer Unterbringung im Deggendorfer Flüchtlingsheim. „Wir sind Flüchtlinge, nicht Feinde“, stand auf einem ihrer Plakate. Ebner-Steiner und andere AfD-Funktionäre filmten die Demonstration und streamten sie live im Internet. Dort kamen so viele Hasskommentare zusammen, dass es 266 Ermittlungsverfahren wegen Volksverhetzung gab.

Man kann sich Ebner-Steiner wohl am ehesten als Pragmatikerin vorstellen, die erkannt hat, wie man in und mit der AfD vorankommt.

„Wenn man Merkel sieht, wird man gleich sauer“

Im Café muss Ebner-Steiner jetzt improvisieren. Am Abend ist Stammtisch, wie jeden ersten Donnerstag im Monat, diesmal soll es um Landwirtschaft gehen. Doch der Referent, ein AfD-Politiker aus einem anderen Wahlkreis, hat abgesagt. Ebner-Steiner überredet „den Dieter“ am Telefon, zu kommen. Der sei zwar kein AfD-Mitglied, erklärt sie, kenne sich aber sehr gut mit dem Islam aus.

Der Stammtisch findet in einem Wirtshaus im Grünen statt, zehn Autominuten von Deggendorf entfernt. In einem kleinen Raum, getäfelt in hellem Holz und mit einem Kruzifix in der Ecke, sitzen schon etwa 20 Mitglieder und warten. Ebner-Steiners Stellvertreter, ein junger Mann in Jeans und schwarzem T-Shirt, erklärt, wie man die Wahlplakate aufhängen muss: nicht an Straßenschilder, so hoch wie möglich, damit sie nicht gleich wieder runtergerissen werden. Auf seinem Lieblingsplakat steht unter einem Bild der Kanzlerin: „Wo CSU draufsteht, ist Merkel drin.“ Das könne man zu einem CSU-Plakat hängen. „Wenn man Merkel sieht, wird man gleich sauer“, sagt der junge Mann und grinst. Der andere Wahlkampfspruch: „Die AfD hält, was die CSU verspricht.“

Einer brummelt: „Es ist alles zu spät.“

Dann stellt sich Dieter Will in die Mitte des Raumes, ein gebrechlich wirkender älterer Mann im khakifarbenen Rollkragenpulli. Seine angebliche Islamexpertise zieht er aus zwölf verschiedenen Koranen, die er zu Hause hat, alles unterschiedliche Übersetzungen. Der Titel seines Vortrages ist: „Sind wir Deutschen verrückt geworden?“ Vor 2015 hätten die Deutschen „ein relativ schönes Leben“ gehabt. Aber die Muslime hätten in Deutschland alles Mögliche eingeschleppt: Vielehe, Kinderehe, Zwangsehe. Er spricht von lügenden, von gewalttätigen Muslimen. Eine blonde Frau meldet sich: „Sie sind so kompetent, Sie müssten Hallen füllen!“

Dann kommt Will zum ganz düsteren Teil seines Vortrages. Demnächst hätten die Muslime die Mehrheit in Deutschland, bereits in fünf Jahren würden wir unser Land „nicht mehr wiedererkennen“. Da wird es unruhig unter den Zuhörenden. Einer ruft: „Die Umvolkung ist nicht mehr zu stoppen!“ Die blonde Frau sagt: „Wir sind verloren.“ Und ein anderer brummelt: „Es ist alles zu spät.“ Ebner-Steiner, die am Rand sitzt und bislang sehr still war, ruft: „Immer einer nach dem andern, sonst hört man nix!“

Als der Stammtisch vorbei ist und die Sonne untergegangen, fährt Ebner-Steiner zurück nach Deggendorf. Sie ist jetzt sehr müde. Im Auto sagt sie kurz vorm Abschied, manchmal zögen sie die vielen negativen Themen runter, die in der AfD diskutiert würden. Sie würde sich wünschen, dass die Partei mehr positive Botschaften setze. Manche in der Partei schlagen ihr vielleicht auch wegen dieser Haltung vor, sie solle doch lieber in die CSU wechseln. „Politik ist immer gefährlich“, sagt Ebner-Steiner. Da hat man keine Freunde.

Quelle: https://www.tagesspiegel.de/themen/reportage/afd-politikerin-katrin-ebner-steiner-populistin-im-dirndl/23082642.html