Vor der Landtagswahl in Bayern

Abgehängt sieht anders aus

Von Paul Kreiner 30. September 2018 – 14:41 Uhr

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Katrin Ebner-Steiner tritt in Bayern für die AfD an. Foto: dpa

Knapp zwei Wochen vor der Landtagswahl spürt die AfD in Bayern mehr Aufwind, als die Umfragen vorhersagen. Das Ausländerthema steht nicht in der ersten Reihe.

München – Über Mangel an Besuch kann sich Katrin Ebner-Steiner nicht beklagen. „Gerade seit Chemnitz“, sagt sie, „läuft’s richtig gut.“ Reporter aller möglichen Zeitungen kommen zu ihrem Infostand im tiefsten Niederbayern; reihenweise filmen sie Fernsehteams, nicht nur deutsche. Katrin Ebner-Steiner, 40 Jahre jung, Bilanzbuchhalterin, verheiratet, vier Kinder: Sie ist wer geworden seit der Bundestagswahl vor einem Jahr. Da holte sie daheim in Deggendorf, aus dem Stand heraus und ohne sich übermäßig anzustrengen, das höchste Ergebnis für ihre AfD in ganz Westdeutschland: 19,2 Prozent.

Im Stadtviertel St. Martin – sozialer Brennpunkt, viele Ausländer, viele Russlanddeutsche, ein Transitzentrum – bekam Ebner-Steiner mit 31,5 Prozent sogar mehr als die CSU. Und dass die AfD aktuell, so kurz vor den Landtagswahlen, in den Umfragen auf elf Prozent abgesunken ist – sie als Kandidatin kann das gar nicht nachvollziehen: „Die Stimmung am Infostand ist ganz anders.“ Gemessen an 2017, sagt Ebner-Steiner gar, habe sich „die Lage zu unseren Gunsten verändert“. Im Bayerischen Wald, dessen Berge gleich hinter Deggendorf aufsteigen, „da kriegen wir bestimmt 25 Prozent“. Und in der Landeshauptstadt München, auch da gibt’s Zeichen, dass den Umfragen womöglich nicht zu trauen ist. Aber dazu später.

Eine Partei, die sonst kein Gesicht hat

Katrin Ebner-Steiner ist eines der Gesichter in einer Partei, die sonst kein Gesicht hat. Einen Landes-Spitzenkandidaten wollte die bayerische AfD nicht – zum einen, weil sie sich in ihrer tiefen Zerstrittenheit auf keine(n) hätte einigen können, zum anderen, weil sie sich „nicht als Partei der Personen, sondern der Themen“ präsentieren will. „Wir brauchen keinen Spitzenkandidaten-Superstar“, sagt Ebner-Steiner und ist klammheimlich ganz froh darüber, dass dieses Los an ihr vorübergegangen ist. Aber wer weiß, nach dem 14. Oktober wird die nagelneue AfD-Fraktion im Landtag eine Führung brauchen…

Deggendorf an der Donau und der Bayerische Wald dahinter, das ist oder war einmal tiefschwarzes, klassisches CSU-Gebiet. Gerade in Zeiten, in denen man wirtschaftlich abgehängt war: Arbeitslosigkeit bis zu 45 (!) Prozent, Grenzgebiet zum Ostblock mit – ganz hinten in Bayerisch-Eisenstein – einem Bahnhof, den tschechoslowakischer Stacheldraht in der Mitte entzwei schnitt. Ein Sinnbild: Ende der Welt.

Deggendorf klagt mittlerweile über einen spürbaren Rechtsruck

Und heute? Kein Vergleich. Mit Arbeitslosenraten zwischen zwei und drei Prozent herrscht Vollbeschäftigung; die Welt ist nach allen Seiten offen, die Wirtschaft boomt; recht intelligent, wie selbst Kritiker zugeben, hat Bayerns Regierung die Region gefördert; eine Technische Hochschule in Deggendorf mit 6300 Studenten aus aller Welt sorgt für jugendliches Flair. Und der bunte, barocke Stadtplatz der 30 000-Einwohner-Stadt, der verströmt fast eine italienische Leichtigkeit des Seins.

Einen Knacks gab’s im Herbst 2015, als Deggendorf über Nacht in den Hauptstrom der Flüchtlinge geriet. Und die Leute, die zwei Jahre danach ihr Kreuz bei der AfD machten, das waren nicht nur protestierende, enttäuschte Wähler der CSU; viele kamen aus der Schar der „Es-ändert-sich-ja-eh-nix“-Nichtwähler, die „wegen der ganzen Ausländer“ politisiert wurden. Dergestalt, dass andersdenkende Deggendorfer mittlerweile über einen spürbaren Rechtsruck der ganzen Stadtgesellschaft klagen.

Sie habe förmlich Angst, sagt eine Frau, die sich in der Kommunalpolitik auskennt, mit ihrem Namen aber nicht genannt werden möchte: Wer sich noch was zu sagen traue gegen den „rechtsradikalen Terror“, der werde beschimpft, beleidigt, könne „an manche Stammtische gar nicht mehr gehen“. Sie bekomme zu hören: „Wenn wir mal regieren, werdet ihr eingesperrt.“ Die Frau sagt: „Es liegt ein bleierner Deckel über der Stadt.“ Für „besorgt“ erklärt sich sogar die AfD-Frau. „Die Menschen sind sehr wütend“, sagt Katrin Ebner-Steiner, „und dass heute zum Teil ganz normale Hausmütterchen rechtsradikale Inhalte posten, das ist sehr bedenklich.“

„Die CSU hat abgewirtschaftet“

Und was erzürnt diese Bayern so? Dass normale besorgte Bürger – siehe Chemnitz – als rechtsextremer Mob dargestellt würden, zum Beispiel. Sauer, sagt Ebner-Steiner, seien die Bayern vor allem aber über die eigene Regierungspartei. „Die CSU ist wie ein waidwund geschossener Keiler. Sie übernimmt die Rhetorik der AfD, greift die AfD aggressiv an und merkt gar nicht, dass man von der CSU eine andere, eine staatstragende Rolle erwartet.“ Alexander Dobrindt zum Beispiel, der rede über eine konservative Revolution: „Ich aber möchte Frieden im Land.“ Und Horst Seehofer, der mache „Witzchen über 69 Abschiebungen an seinem 69. Geburtstag“. Das sei „bedenklich für eine Partei, die in der Regierung ist“, sagt Ebner-Steiner: „Und überhaupt diese Schizophrenie, dass die CSU in der Berliner Koalition ist und dauernd dagegen schimpft, das versteht doch keiner mehr.“ Selbst CSU-Funktionäre, sagt die AfD-Kandidatin, „stehen da voll hinter mir und bestätigen: die spinnen alle. Deshalb läuft’s bei denen nicht mehr. Die CSU hat abgewirtschaftet.“

Das ist das Thema, auf dem die AfD derzeit reitet. Selbst in Deggendorf, sagt Katrin Ebner-Steiner, stehe die Ausländerfrage nicht mehr an vorderster Front. Dann halt wieder, wenn Bundespolitiker der AfD ihre Wahlkampfreden im Bayerischen Wald halten oder Katrin Ebner-Steiner selber es für geraten hält, mal wieder eine Breitseite gegen „den“ Islam loszulassen und die „Festung Europa“ einzufordern. Aber als hetzerisch will sie als Kandidatin nicht wahrgenommen werden – auch wenn sie innerhalb der AfD zum extremen Flügel um den Thüringer Björn Höcke zählt. Dass sie Höcke schätzt, gibt Katrin Ebner-Steiner zu. Sie hätte ja, sagt sie, „gemeinsam mit ihm Haustürwahlkampf mit sozialpolitischen Themen“ machen wollen. Das sei aber aus Sicherheitsgründen abgesagt worden.

Wenn die AfD am 14. Oktober in den Landtag einzieht, dann tut sie es mit lauter Neulingen

Bei der CSU, die erst kürzlich auf Frontalangriff gegen die Rechten umgeschaltet hat, poltert Markus Söder, die ganze bayerische AfD sei „eine Höcke-Truppe“. Spricht man Ebner-Steiner darauf an, lacht sie erst mal hellauf, dann sagt sie: „Naaa, wir sind Bayern. Mia san mia. Wir sind mit 5000 Mitgliedern der stärkste Landesverband, und wir sind von niemandem Steigbügelhalter.“ Die Kräfteverhältnisse in der bayerischen AfD schätzt Ebner-Steiner auf „fifty-fifty“: halb gemäßigt, halb „nationalkonservativ“. Sie selber („ich bin nationalkonservativ“) sieht ihre Rolle darin, als stellvertretende Landeschefin „zwischen den Strömungen zu vermitteln, damit wir eine geschlossene Partei und Fraktion sind.“

Da wartet noch Arbeit. Erst mal muss die bayerische AfD sich selber finden. Der Nürnberger Landesparteitag vom Juni, der war chaotisch. Voll durcheinander ging’s in Nürnberg vor allem deshalb, weil die bayerische AfD keine Erfahrung in politischer Gremienarbeit besitzt. Nur zwei Stadtratsposten, in Augsburg und Schweinfurt, hat sie derzeit; in sonstigen kommunalen und regionalen Parlamenten ist sie gar nicht vertreten. Das heißt: wenn die AfD am 14. Oktober in den Landtag einzieht, dann tut sie es mit lauter Neulingen. Hinter den Kulissen üben sie bereits, sich zu organisieren, Themen zu setzen und Debatten zu führen: in einer „virtuellen Fraktion“. Damit sie gleich loslegen können.

Der AfD-Kandidat kam in München ohne Provokation aus

Und wie war das mit München? Dort hat der AfD-Kandidat vor einer Woche einen Auftritt hingelegt, der vielen Anwesenden den Mund offen stehen ließ. Zur Podiumsdiskussion eingeladen hatte die regionale Industrie- und Handelskammer. Vor einigen hundert Unternehmern sollten die Spitzenvertreter von sechs Parteien ihre Wirtschaftskonzepte vorstellen. Der mit Abstand nervöseste, weil am wenigsten routinierte, war der AfD-Mann Uli Henkel. Zumindest am Anfang. Dann aber schlug sich der 63-jährige Rechtsanwalt vor den Wirtschaftsleuten mit Bravour. Hatte Henkel bei einer Probeabstimmung vor der Diskussion gerade mal drei Prozent eingesammelt, kam er am Ende auf das Sechsfache. Auf 18 Prozent. Das liegt sechs Punkte über den landesweiten Umfragewerten.

Vielleicht kam das ja vom Wirtschaftsprogramm der AfD. Wohl eher hatte es mit Uli Henkels Auftreten zu tun: charmant war er, gewandt; ohne jede Provokation sagte er, was die Unternehmer hören wollten. Er kann offenbar auch anders. Zu dem Smiley-Sticker, der vor ihm auf dem Podium lag, sagte Henkel, den habe ihm seine Frau eingepackt: „Damit ich auf keinen Fall das Lächeln vergesse.

Quelle: www.stuttgarter-nachrichten.de